Die Eisbären von Churchill

Es ist kurz nach 5 Uhr morgens, der Wecker klingelt. Ich habe doch Urlaub? Aber ich habe es auch so gewollt, die Erfüllung eines langgehegten Traumes. Wir sind jetzt, Anfang November, mit einer kleinen privaten Gruppe für 6 Tage in den Norden Manitobas geflogen, in ein Dorf mitten in der Einsamkeit an der Hudson Bay, nach Churchill, selbsternannte „Polar Bear Capital of the World“.

Wir teilen uns zu fünft ein Bad in unserem B&B, sind dennoch um 6 Uhr beim Frühstück. In der Küche werkelt schon längst Grandma, der gute Geist des Hauses. Es duftet lecker nach Kaffee, Eiern und Speck, unsere Thermoskannen sind vorgewärmt, und unsere Tagesrucksäcke stehen startklar in den Zimmern. Die Vorfreude auf den Tag steigt, als wir gegen 7 Uhr vom Rest unserer Truppe im Van abgeholt werden, ein kurzer Stop im legendären Gypsys, um die Tagesverpflegung einzukaufen. Dann verlassen wir das kleine Städtchen auf schneebedeckter Piste. Nach einer halben Stunde erreichen wir den Abfahrtsplatz unseres Tundra Buggys, des Spezialgefährtes mit den riesigen Reifen, in dem wir uns in die unwegsame weite Tundra hineinwagen können. Es ist immer noch dunkel, und natürlich ist es ziemlich kalt, mit ca. -10-11°C aber längst nicht so eisig wie erwartet. Unseren Fahrer Marc haben wir bereits bei Gypsys eingesammelt. Er macht unser Gefährt schnell startklar: den Motor kontrollieren, Scheiben frei wischen, Ofen anschmeißen. Wir wollen zügig loskommen, denn noch sind wir die ersten am Tundra Buggy Launch Pad. Die Sonne erhebt sich langsam am Horizont, ein wunderschöner Sonnenaufgang eröffnet unseren Tag in der Tundra.

Noch vor 8 Uhr starten wir als erste in die einsame Weite des Wapusk National Parks, rumpeln langsam mit unserem Gefährt über den unwegsamen Tundraboden. Unser Fahrer weiß genau, wo er langfahren darf und wo nicht. Die empfindliche Natur soll schließlich nicht durch unsere Neugier zerstört werden. Noch haben wir wegen der Kälte alle Fenster des Buggies geschlossen, der Ofen bollert angenehme Wärme ins Innere. Gespannt lasse ich den Blick über die schneebedeckte Tundra gleiten, von links nach rechts, von vorne nach hinten. Da! Ein weißgelber Fleck in vielleicht dreihundert Meter Entfernung! Ist das unser erster Eisbär des Tages? Der Fleck bewegt sich nicht. Ich hole mir den „Fleck“ mit dem Teleobjektiv meiner Kamera heran. Nein, es ist leider nur ein großer Stein. Aber keine Enttäuschung. Ich lasse den Blick weiter über die Landschaft gleiten. Inzwischen ist die Sonne richtig aufgegangen, so daß man alles sehr gut erkennen kann. Fotogene Wolken treiben am Himmel. Wir nähern uns der Küste. Wieder scheinen viele dicke Steine in der Landschaft herum zu liegen. Aber diesmal kann ich schnell mit bloßem Auge erkennen, wie in zwei der vermeintlichen Steine Leben zu kommen scheint. Zwei Eisbären!

Erst erhebt sich der linke der beiden gewaltigen Tiere, streckt und reckt sich ausgiebig. Er stößt seinen verschlafenen Kumpel mit der Nase an, der jedoch keine Lust verspürt, sich von seinem gemütlichen Fleck im Schnee zu erheben. „Dann eben nicht“, scheint der erste zu denken, „ich kann mich auch alleine beschäftigen.“ Mit Kopf und Brust auf dem Boden, beginnt er seinen massigen Körper genüßlich über das Eis und durch den Schnee zu schieben, wälzt sich anschließend auf dem Rücken in dem eiskalten Weiß, die Beine in alle Richtungen von sich streckend. Endlich scheint der zweite auch beeindruckt zu sein von soviel Bewegungsdrang, kommt ebenfalls auf seine gewaltig großen Tatzen, mit denen man als Mensch keine nähere Bekanntschaft machen möchte. Die beiden stehen sich gegenüber und richten sich plötzlich nacheinander auf die Hintertatzen zu ihrer beeindruckenden Größe von zweieinhalb bis drei Metern auf. Ein Raunen geht durch unseren Tundra Buggy. Dann werden wir Zeuge eines Play-fights, eines spielerischen Kampfes, in dem sich die beiden auf den späteren Ernst des Lebens vorbereiten, wenn sie auf dem offenen Eis mit anderen Eisbären um ihre lebensnotwendige Beute, die Robben, kämpfen müssen. Auch hier können wir am Ende des Play-fightings ein paar Blutspuren im gelblich weißen Fell der Bären erkennen. Aber die beiden liegen wenig später wieder friedlich nebeneinander im kühlenden Schnee, lassen sich auch nicht stören, als ein dritter Bär hinzukommt und sich neben ihnen für ein Nickerchen niederläßt.

Wir beobachten die Szenerie eine Weile, aber auf einmal gibt unser Fahrer Marc Gas, der Tundra Buggy fliegt geradezu über die Unebenheiten des Weges, und wir werden ordentlich durchgeschüttelt. Marcs unglaubliches Gespür für interessante Plätze in der flachen Tundra, wo die schneebedeckte Oberfläche nur durch niedrige Büsche, vereinzelte kleinste Bäume, Schneeverwehungen, vereiste Flächen und eine Menge teils farbiger Steine ein ständig verändertes Aussehen erhält, führt uns an eine unscheinbare Stelle mitten im scheinbaren Nichts. Aber hier erwartet uns ein Highlight! Im Schnee entdecken wir eine Eisbären-Mutter mit ihren beiden Jungen. Zunächst liegen alle drei nur dösend im Schnee herum. Die beiden Jungbären scheinen miteinander zu kommunizieren, stupsen mit ihren schwarzen Nasen aneinander. Plötzliche erheben sich beide und wir haben das unglaubliche und seltene Glück, zwei Bärenkindern beim Play-fight zuschauen zu dürfen. Das hat selbst unser erfahrener Guide noch nicht erlebt! Es schaut noch ein wenig ungelenk aus, wie die beiden Cubs einander vor die Brust stoßen, mit Mühe das Gleichgewicht dabei halten, sich scheinbar kurz ineinander verbeißen. Ihre Mutter beobachtet den Nachwuchs dabei kaum, öffnet nur einmal kurz ein wachsames schwarzes Knopfauge. Kurz darauf schmiegen sich die beiden Raufbolde wieder eng an ihre Mutter, intensiv die familiäre Nähe suchend. Ein wunderschönes Bild des Vertrauens und des Friedens in einer Zeit, wo der Überlebenskampf für diese Tiere aufgrund der sich ändernden klimatischen Bedingungen immer schwieriger wird.

Wir sehen im Laufe eines jeden unserer vier Tage in der Tundra 15 bis 20 Eisbären, groß und klein. Wir erleben, wie die Hudson Bay langsam beginnt zuzufrieren, die Eisbären aber noch einige Tage länger auf ihre Wanderung über das Eis zu den Robbenfanggebieten warten müssen. Wir erleben an unserem fünften Tag einen Blizzard, der alle Außenaktivitäten verhindert, Flüge von und nach Churchill unmöglich macht.

Es war eine kurze aber äußerste beeindruckende Reise in einen außergewöhnlichen Landstrich mit außergewöhnlichen Bewohnern, Mensch wie Tier!

 

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